chevron-perlen, teil 2: neue formen & techniken Druckbutton anzeigen?

Bild 1: Drei heissgebogene Ellenbogen-Chevrons, sieben indische Composite-ChevronsBild 1

Ein wichtiger Schritt in der weiteren Entwicklung der Chevron-Perlen war der Eintritt Indiens in die industrielle Glasperlen-Produktion im 19. Jahrhundert. Da ein Mangel an Maschinen und Werkzeugen ja bekanntlich den Erfindergeist beflügelt, wurde hier ein Verfahren entwickelt, Chevron-Perlen ohne die in Venedig und Amsterdam gebräuchlichen (und gut gehüteten) optischen Formen herzustellen: die Composite-Methode.

Hierbei werden verschiedenfarbige, teils besonders ausgeformte mehrschichtige Glasstangen (Murrini-Stangen) um einen einfarbigen Kern herum angeordnet und nach dem Erhitzen zu kurzen Strängen ausgezogen. Diese Technik wurde soweit perfektioniert, dass mit dem bloßen Auge ein Unterschied zu den traditionell hergestellten Perlen kaum festzustellen ist (Bild 1, Mitte bis Rechts).
Im Gegenzug beeinflusste diese Technik wiederum die Venezianischen Perlenmacher, die nun mehrschichtige Stangen mit Loch herstellten (eigentlich dickwandige Rohre) und diese durch Pressen, Schleifen oder Trommelpolieren zu Perlen weiter verarbeiteten, und auch Chevron-Perlen anfertigten, in die Murrini- oder Filigrana-Stangen (dünne farbige Glasstäbe mit transparentem Klar umhüllt) eingearbeitet wurden (Bild 2).

Bild 2: Venezianische Murrini-Chevron, 70er Jahren.Durch die Einführung bzw. Verbesserung der Ofensteuerung wurde es schliesslich möglich, auch kurze Stangenstücke auf Draht aufgezogen so langsam zu erhitzen, dass sich die Form auch ohne Schleifen verändern liess: konisch, flachgepresst, verdreht, tailliert, gebogen (Bild 1, Links). Besonders in Böhmen und Tschechien wurde auf diese Art ein grosses Repertoire an Handelsperlen geschaffen. Von einfachen zwei- bis dreischichtigen, mit selten mehr als zwei oder drei farbigen Streifen verzierten Perlen, kaum noch als Chevron zu erkennen, bis hin zu den flachen Watermelon-Chevrons, die in  Weiß - Grün - Rot - Weiß - Grün tatsächlich an die namensgebende Frucht erinnern und tonnenweise nach Afrika und in die Neue Welt exportiert wurden.

Bild 2


Selbstverständlich wagten auch einige Spezialisten das Abenteuer, die erhitzten Perlen"rohlinge" wieder in die Flamme des Brenners zu bringen, und mit Lampwork-Techniken weiter zu verzieren. Bei diesen sehr aufwändig herestellten Perlen ist ein sehr langsames Abkühlen auf Raumtemperatur (Tempern) nötig, damit nicht durch ungleichmässige Temperaturveränderungen im Glas Spannungsrisse entstehen, die die Perle zerstören würden. Nur sehr wenige erfahrene Perlenmacher beherrschen diese Kunst, und durch die Verwendung von alten Chevronstangen entstehen hier Kunstwerke, die die Erfahrung und das Können von vielen Generationen an Glaskünstlern und Perlenmachern in sich vereinen. Die (in Bild 3) abgebildeten Perlen wurden in einer limitierten Edition aus sechslagigen Chevronstangen aus den 20er Jahren von Luigi Catellan geschnitten und gefräst, und anschliessend von Mario Cavagnis am Brenner "veredelt".
Bild 3: Blumen-Chevrons von L. Cattelan und M. Cavagnis, Murano
Bild 3

In neuerer Zeit werden die komplexesten Querschnitte durch das Kombinieren aller dieser Techniken erzeugt. In den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Amerika aufgegriffen, fanden sich rasch Liebhaber und Sammler, die aussergewöhnliche Perlen suchten und bereit waren, die extrem aufwändige Herstellung zu honorieren, sowie Künstler und Handwerker, die die Herausforderung annahmen, aus diesen Techniken einen eigenen Stil zu kreieren.

Bild 4: Teiltransparente Chevrons von M. Mullaney und R. Mossman (www.heronglass.com)Hier sind vor allem Art Seymour zu nennen, der Chevronperlen in Kleinst-Serien mit bis zu 12 Lagen herstellte, und das Verzieren mit Murrinis in einer Art Laminierungs-Technik perfektionierte - bis hin zu quer! eingebauten Murrinistangen mit eigener Signatur, sowie die Begründer von Heron Glass, Mary Mullaney und Ralph Mossman, die es durch die Verwendung von Klarglas verstanden, ihren aussergewöhnlichen Perlen eine bis dahin unbekannte Tiefe und Brillianz zu verleihen. Hier spielen alle Techniken des Schichtaufbaus

Bild 5: Tetragonale Chevrons und Composite-Bicone, Heron Glass

in perfektionierter Form zusammen: das Blasen und Tauchen der Grundschichten, das Überziehen mit separat geblasenen Dünnschichten aus transparenten Farben, und als Krönung das Einschmelzen von vorgefertigten Glasstäben, von denen jeder für sich genommen schon ein handwerkliches Meisterstück darstellt!Unverwechselbar jedoch werden diese besonderen Chevrons durch ein ausgeprägtes Gefühl für harmonische Formgebung, das sich nach einem abschliessenden fünfstufigen Schleif- und Poliervorgang in Tetragonalen Würfeln, ausgeprägten Bicones und langgezogenen Fassformen wiederspiegelt, im Spiel mit pastellen Opak-Farben und kräftigen Transparent-Tönen nie überladen, aber immer geheimnisvoll und faszinierend:

Bild 6: 6-lagige PastellChevrons, auch Heron GlassBild 6

Eine Sonderstellung unter den stranggezogenen Perlen nehmen die sogenannten Nueva Cadiz Perlen ein. Zum Einen ist es immer noch nicht geklärt, ob diese, nach ihrem ersten Fundort in Venezuela benannten Perlen, ursprünglich aus böhmischer, tschechischer oder venezianischer Produktion stammen. Zum Anderen tauchen sie ausserhalb der Fundorte in Lateinamerika und Westafrika fast nirgendwo sonst auf...

Bild 7: Lange Nueva Cadiz Bead, 16. Jh., Venezianische „Nachbauten“, 19. Jh., seltene 3-lagige, 20.Jh., ungewöhnliche 6-lagige Konische Form (Weiß-Blau-Weiß-Gelb-Weiß-Blau) und Kugel, zwei sehr alte Murrinischeiben (M=Moretti?) und drei Buchstaben-Murrinis, 19. Jh.Bild 7

Eine interessante Ausnahme ist auf einer Musterkarte von Domenico Bussolini im Murano Museum of Glass zu finden, ein venezianischer Perlenmacher, der 1842 für seine Arbeiten von der Stadt ausgezeichnet wurde. Aber durch die zeitliche Differenz zu den auf 1500 - 1550 datierten Ausgrabungen in Amerika entstehen mehr neue Fragen, als geklärt werden: Haben die Venezianer also eine eigene alte Technik wiederentdeckt oder einen anscheinend doch recht erfolgreichen Mitbewerber kopiert? Denn belegt ist auch, dass die Conterie noch Ende des 18. Jahrhunderts diese Art Perlen aus Böhmen importierte, und im Afrikahandel als Zahlungsmittel einsetzten, wie die Musterkarten der Bead-Broker Moses Levine & Co. im Londoner Museum of Mankind beweisen...





Bild 8: Teiltransparente Composite-Chevrons mit Filigrana-Stangen, unten eine mit Aventurin verzierte, D. Salvadore, VenedigBild 1: Drei heissgebogene Ellenbogen-Chevrons, sieben indische Composite-Chevrons.
Bild 2: Venezianische Murrini-Chevron, 70er Jahren.
Bild 3: Blumen-Chevrons von L. Cattelan und M. Cavagnis, Murano.
Bild 4: Teiltransparente Chevrons von M. Mullaney und R. Mossman (www.heronglass.com)
Bild 5: Tetragonale Chevrons und Composite-Bicone, Heron Glass
Bild 6: 6-lagige PastellChevrons, auch Heron Glass
Bild 7: Lange Nueva Cadiz Bead, 16. Jh., Venezianische „Nachbauten“, 19. Jh., seltene 3-lagige, 20.Jh., ungewöhnliche 6-lagige Konische Form (Weiß-Blau-Weiß-Gelb-Weiß-Blau) und Kugel, zwei sehr alte Murrinischeiben (M=Moretti?) und drei Buchstaben-Murrinis, 19. Jh.

Bild 8: Teiltransparente Composite-Chevrons mit Filigrana-Stangen, unten eine mit Aventurin verzierte, D. Salvadore, Venedig

(alle Perlen: Sammlung Gunnar Haag, www.beadbox.de)


Meine Quellen und gleichzeitig Literaturempfehlung zum Thema Chevron und Perlen:
"Chevron and Nueva Cadiz Beads - Vol. VII - Beads from the West African Trade" by John and Ruth Picard, 1993
"Beads of the World" by Peter Francis Jr., 1994
"Collectible Beads" by Robert K. Liu, 1995
"Alle Perlen dieser Welt" von Louis Sherr Dubin, 1988